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Feld von Sonnenblumen in der Heimat

Prosa

(Gedichte)

    von Gerti Neuderth

(1960)

 

Erinnerung                                              

 

Träumend hab ich nachgedacht,

hab eine " Reise" nach Hause gemacht:

Ich steh auf dem Schwammberg, ich blicke hinunter.

Am Horizont geht die Sonne unter.

 

Getan ist jetzt des Tages Werk.

Ich seh den Burgstadl, den Dürmauler Berg,

den Hussen, den Legerberg seh ich schimmern,

im Abendrot die Spitzen von Dörfles flimmern.

 

Wie ist der Abend so feierlich still!

Welch herrliche Landschaft, erhebend Gefühl!

Koslau seh ich, seh Olleschau liegen,

sich dem lieblichen Tale anschmiegen.

 

Sinnend lenk ich meinen Blick

in die Kindheit hier zurück,

wie wir einst zur Schule gingen,

im Lohbach die Forellen fingen,

in Gummistiefel mit Händen rafften,

nach Hause in die Wanne schafften.

 

Der Koslauer Bach wurde angestaut,

so hatten wir einen Teich gebaut.

Hier wurden die Forellen jetzt

mit Sorgfalt und Liebe ausgesetzt.

Doch die Enten von Pauln, wer hätt es gedacht,

hatten bald unsre Zucht zunichte gemacht

 

Nach Olleschau sind wir zur Schule gelaufen,

mußten heimwärts übers Bergl schnaufen.

Die Schule - wer kann das heut noch fassen -

hatte nur zwei Volksschulklassen.

 

Dort konnten wir menschlich uns entfalten.

Wie haben wir alle zusammengehalten!

Da hieß es: " Adolf, sei mal still,

weil der Franz jetzt lernen will! "

 

Es übernahmen Große, so will mirs scheinen,

Verantwortung, Sorge für die Kleinen.

Oft lauschten die Kleinen mit einem Ohr:

"Was lernen die Großen, was haben sie vor? "

 

Ein jeder horchte und fügte sich ein.

Was mußten das doch für Lehrer sein,

in solch einer Schule zu unterrichten! -

Von klein auf erfüllten wir unsere Pflichten:

 

Wir konnten nicht nur spielen und tollen,

mußten Rüben leiern und Futter holen

und Häcksel schneiden und konnten nicht ruhn.

Was gab es doch alles für Kinder zu tun!

 

Nicht alles war so getan im Nu.

Gar lustig ging`s beim Viehhüten zu.

Wir verstanden, aus allem etwas zu machen.

Was gabs beim Hüten oft zu lachen!

Welch Schrecken, wenn das Vieh war weg

und weidet`in Nachbars Rotklee-Eck!

 

"Wer hütet wo? Wann treibt ihr aus?"

fragten wir Buben und Mädchen zu Haus.

So waren wir alle meistens beisammen,                              

wenn wir auf die Wiesen kamen.

 

Wir gingen nicht nur hinaus zum Toben:

Aus  Steinmauern wurde manch Haus gehoben.

Darin, wo drei ihren Platz gut hatten,

wurden auch oft Kartoffeln gebraten.

 

Des Abends, wenn die Arbeit getan,

fing erst das richtige Treiben an.

Im Frühjahr in der Maikäferzeit

schüttelten wir Bäume weit und breit.

Im Herbste liefen wir uns warm

und spielten Räuber und Gendarm.

 

Von Winteritzer Fest bekam ich mal

endlich einen großen Ball.

So spielten wir voll Fröhlichkeit

bis Herr Stengl pfiff, dann war es Zeit.

Er pfiff - es schallte durch das Tal.

Er pfiff - und tat es nur einmal!

 

Auf der Wiese, unter Bäumen

konnten wir in Ruhe träumen:

Die Wipfel, die Gipfel, die Wolken umrahmen,

die Rehe, die abends zum Äsen kamen ...

 

Alles haben wir ausstipiezt,

der Rotschwänzchen Nester behütet, geschützt.

Oft sind wir in den Feldern gewesen

und haben Kohlrabi geschält und gegessen.

 

An Obst in den Zweigen war keine Not.

Die Kirschen von Pauln, die lachten so rot.

Wie haben sie so süß geschmeckt!

Den Vorrat hatten wir versteckt

unterm Hemd. - Wer hätte gedacht,

daß der dicke Ast da kracht?

 

 

Mit den Kirschen, die ich gepflückt,

wurd` ich an den Baum gedrückt.

Das weiße Hemd, voll Flecken, ach,

es wurde nicht sauber beim Waschen im Bach!

 

Oh Heimat, die wir oft besungen,

wie lebst du in Erinnerungen!

Getränkt mit manchem Tropfen Schweiß,

o Boden, wie bist du bestellt mit Fleiß!

Hier sehe ich dich ausgebreitet.

Wie mein Blick darübergleitet!

 

O Dorf, ich seh deine Menschen an,

an die ich mich gut erinnern kann.

Ein jeder trug des anderen Not

und Last und Arbeit - gesegnet von Gott.

 

Ich träume weiter und sehe bergan

Flüchtlingstransporte mit Pferdegespann:

Menschen der Straße bei Tag und bei Nacht

wurden mit Vorspann den Berg hochgebracht.

 

Und eines Tages war es so weit

Der Weizen war schwer zur Erntezeit.

Das Vieh im Stalle, die Tür offen stehn,

so mußten wir ziehen, von dannen gehn

 

Vom Schwammberg tief hinab ins Tal

ruf sinnend ich: "Es war einmal."

Ich sehe den Bauer, ich sehe den Pflug,

das Land, die Erde, die einst uns trug...

 

Wie lange habe ich geträumt?

Was wollte ich tun?  Was hab ich versäumt?

Hier bin ich, hier sinn ich - worauf wollt ich warten?

Ich finde mich wieder beim Haus, im Garten.

 

Von der Reise bin ich zurück.

Der neuen Heimat gilt jetzt mein Blick.

Ich liebe sie - anders, doch nicht minder:

Die Frau - die Kinder - die Enkelkinder.

 

Geschrieben 1989  von   Gerti Neuderth   

nach Erzählungen von Ihrem Mann Adolf

 

 

H e i m a t  

O scheine, mildes Dämmerlicht,

schein in meine Seele,

scheine in mein Angesicht,

daß sich still vermähle

tiefe, wehevolle Nacht

mit des Tageslichtes Fülle.

Nimm mich hin in deiner Macht,

wundersame Stille.

 

Laß mich sanft die Augen schließen,

laß mich schauen, was entschwunden:

Laß mich meine Kindheit grüßen

und der Jugend Stunden. - -

 

Und ich fühle tief versinken,

was ich einst besessen,

seh die alte Birke winken.

Sollt ich sie vergessen?

 

Sollt ich nicht mehr fassen können,

was dem Herzen sich verband?

O - was wir da Heimat nennen

meinem Geiste nie entschwand.

 

Niemals möge das veralten,

was ich lebhaft vor mir sehe:

Menschen - einen Zug Gestalten

voller Wehe, voller Wehe.

 

Mit der Wurzel ausgerissen

aus dem Erdenreich,

neuem Boden hingeschmissen,

waren sie sich gleich.

 

Sollten sie da blühen, reifen,

Früchte bringen, Erntedank?

Sollten sie den Schmerz begreifen,

der da nach Erlösung rang?

 

Ja! Sie sollten Kunde werden,

daß wir alle heimatlos,

daß wir alle Gast auf Erden,

wandelnd nackt und blos.

 

Viele mußten daran sterben,

an dem neuen Grund verdorrt.

Mußten kümmerlich verderben,

fanden Heimat nunmehr "dort".

 

Dort im Himmel nur ist Ruh. -

Liebe Gottesgabe,

Heimat, liebe Heimat du,

die ich "drüben" habe! - -

Ach, aus diesem stillen Traum

halt ich plötzlich inne:

Ein Lichtstrahl fällt in diesen Raum,

auf daß ich mich besinne.

 

Ich öffne dieses Fenster weit

diesem Licht der Straße.

Ströme ein, du neue Zeit,

daß ich dich erfasse!

 

Technik hast du uns gebracht

nach den schweren Tagen,

Licht nach wehevoller Nacht.

Laß uns eine Zukunft wagen!

 

Licht der Technik nicht allein

leuchte uns hinieden;

Licht des Herzens muß es sein,

dann heißt unsere Zukunft  F r i e d e n  !